Das Photogramm|Licht, Spur und Schatten 08./09. April 2006

Prof. Lambert Wiesing
(Friedrich-Schiller-Universität Jena)

"Das Photogramm als Technik ist auf der begrifflichen Ebene wie Malerei oder Mosaik."

Sind Photogramme Bilder? Sind Photogramme Spuren?

Die beiden Fragen, ob Photogramme Bilder sind und ob Photogramme Spuren sind, lassen sich für Lambert Wiesing nicht historisch klären, sondern vielmehr theoretisch als Verhältnis von Bild und Zeichen. Als Bildtheoretiker, der sich innerhalb der Bildwissenschaft von Seiten der Philosophie mit Sprache und Begriffen über Bilder beschäftigt, sprach er sich für die Entwicklung einer möglichst differenzierten Begrifflichkeit aus.

Sehr anschaulich verdeutlichte er den Unterschied zwischen Bild und Zeichen anhand der analogen Fragestellungen, ob Delphine Fische und Blumen Geschenke sind. Bilder stellen für ihn einen Eigenschaftsbegriff dar. Spuren sind hingegen als Funktionsbegriff eine Spezifikation eines Zeichenbegriffs. Spuren sind nicht wie Wirkungen physikalisch nachweisbar. Spuren entstehen durch die Verwendung, in dem man Etwas als Zeichen für eine seiner Ursachen nimmt. Spuren entstehen dabei durch einen doppelten Dezizionismus, indem man sich zum einen entscheidet, etwas als Zeichen für etwas zu nehmen und zum anderen aus den unendlich vielen Entstehungsursachen eine auswählt, auf die sich die Spur beziehen soll. In dem Sinne werden Photographie und Photogramme in einer sehr ähnlichen Art und Weise semiotisch verwendet.

Bezugnehmend auf Konrad Fiedlers Begriff der reinen Sichtbarkeit konkretisierte er Bilder als Flächen, die etwas zeigen, das keiner Physik unterliegt: eine Sichtbarkeit des physikalischen Nichtphysikalischen. So kann ein fixiertes Photogramm im Nachhinein nicht mehr durch Licht physikalisch beeinflußt werden. Für das Photogramm folgerte er, daß es als Technik auf der begrifflichen Ebene wie Malerei oder Mosaik einzuordnen ist. Photogramme sind für ihn demnach eine Technik, wie man in bestimmter Weise lichtempfindliche Blätter strukturiert. Das Ergebnis würde er nicht immer als Bild bezeichnen. Manchmal könne man das Resultat als Struktur, Ornament, Muster oder vielleicht als Diagramm bezeichnen, aber höchst selten als Kunstwerk - weshalb es für Wiesing abwegig sei, beim Photogramm von einer Kunsttechnik zu sprechen.
Lambert Wiesing wies abschließend auf die Doppeldeutigkeit des Wortes Bild im Deutschen hin: So bezeichnet es mit dem Bildträger und dem Bildobjekt respektive dem Gezeigten zwei außerordentlich unterschiedliche Dinge. Für das Photogramm heißt das, daß Kausalität nur den Bildträger betrifft, hingegen wird das Bildobjekt zur Bestimmung derjenigen Bildursache benutzt, auf die verwiesen werden soll.

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